An Tiêm und die Wassermelone
Vor Jahrhunderten, als Vietnam von König Hung Vuong III., einem beliebten und vom Volk wegen seiner Güte und Großzügigkeit geehrten Herrscher regiert wurde, hatte dieser lediglich eine Tochter und entschloss sich deshalb, einen Jungen zu adoptieren. Seine Hingebung gegenüber seinen Untertanen brachte ihn dazu das Kind einer sehr armen Familie von einer entfernten Insel zu adoptieren: An Tiêm. Er liebte schätzte und erzog den Jungen, als sei es sein eigener, weshalb An Tiêm zu einem weisen und talentierten jungen Mann heranwuchs. Seine Klugheit hatte ihm den Respekt des Königreichs eingebracht, ja sogar des Königs selbst. Als er sie beide für alt genug hielt arrangierte der König die Hochzeit von An Tiêm und seiner Tochter, da er den jungen Mann für fähig und intelligent hielt, über das Land zu herrschen, wenn er selbst gestorben war. Die Hochzeit war extravagant und sie durften in seinen schönsten Burgen leben. Die Prinzessin selbst empfand tiefe Zuneigung gegenüber dem jungen Mann, genauso sehr wie er sie liebte. Ihre Ehe war vom Himmel gesegnet und schon bald hatten sie zwei wundervolle Kinder. Doch des Königs Güte gegenüber An Tiêm ließ in einige seiner Männer den Neid wachsen. Längere Zeit genährt schlug dieser Neid schnell in Hass um. Verzweifelt auf der Suche nach Wegen den jungen Prinzen An Tiêm loszuwerden begannen sie, Geschichten zu erfinden, die den jungen Mann vor dem König in schlechtes Licht stellten. Gerüchte verbreiteten sich im Königreich: An Tiêm plane, den König zu stürzen, um selbst die Macht zu übernehmen. So unbegründet die Vorwürfe auch sein mochten, erreichten sie schon bald den König. Trotz seiner Liebe zu An Tiêm beschloss der König aus Furcht vor Verrat ihn und seine Familie auf eine verlassene Insel zu verbannen. Weit entfernt vom Komfort und Luxus den sie im Königreich erfahren hatten mussten An Tiêm und seine Frau zusammenarbeiten, um zu überleben. Sie bauten sich ihre eigene Unterkunft, fischten ihre Nahrung und taten alles, um ihr Leben für die Kinder erträglich zu machen. Eines heißen morgens, als An Tiêm auf der Jagd war wurde er einer Gruppe Vögel gewahr, die nach einigen seltsamen schwarzen Samen pickten. Neugierig geworden nahm er sich selbst eine Hand voll und nahm sie mit nach Hause. In der Hoffnung, sie würden der Familie etwas Gutes einbringen verstreute er die Samen rund um ihre Hütte. Monate später erst kamen kleine Ranken aus der Erde und ringelten sich entlang dem Boden. Wenig später begannen Früchte unter den Blättern daran zu wachsen. Die Früchte reiften heran bis sie schließlich die Größe eines Kopfes erreicht hatten. Die Frucht hatte glatte Haut und verströmte einen entzückenden Duft und als sie schließlich eine öffneten fanden sie darin rotes, süßes Fruchtfleisch. An Tiêm nannte die Frucht "dua do" oder auch rote Melone. Doch die Süße hatte Vögel angelockt und als sie die frische, geschmackvolle Frucht aßen konnte An Tiêms Frau die Vögel "Tay qua", zu Deutsch Wassermelone, rufen hören, seither trägt sie diesen Namen. Die Familie sammelte die Früchte und lagerte genügend davon ein, um sich zu ernähren. Immer wenn sie Wassermelone aßen sammelten sie die Kerne, um noch mehr von ihnen um ihr Haus auszusähen. Monate und Jahre vergingen und nun hatten sie genug Wassermelonen um ihre wachsende Familie damit zu versorgen. Sie handelten damit auch, wenn Seeleute vorbei kamen, denn diese hatten Nahrung, Kleider und Spielsachen für die Kinder dabei. Derweil vermisste der König An Tiêm und seine Tochter aus tiefster Seele und wusste nicht einmal, was aus ihnen geworden war. Davon wusste An Tiêm nichts, als er am Strand saß und sehnsüchtig in Richtung des Landes starrte, in dem der König lebte. Er dachte darüber nach, was das Leben manchmal für einen bereithalten konnte, im Guten wie im Schlechten. Doch seine Findigkeit hatte ihm erlaubt zu überleben. Müßig ritzte er seinen Namen in eine der Wassermelonen und warf sie ins Meer und wunderte sich während sie wegtrieb darüber, dass auch er, wie die Wassermelone jetzt, bereits früher in fremden Gewässern steuerlos getrieben war. Vom Schicksal getragen wanderte die Wassermelone ins Königreich, wo sie von Dienern des Königs gefunden wurde und sie brachten ihm die Frucht. Als der König An Tiêms Namen auf der Frucht sah war sein Herz von Freude erfüllt: Sie waren am Leben. Tief im Inneren war der König wieder beeindruckt von An Tiêms Intelligenz und Einfallsreichtum und wurde immer stolzer auf ihn. Dann sandte er seine Männer aus, um nach seinem lange verlorenen Sohn, seiner Tochter und seinen Enkelkindern zu suchen und sie nach Hause zu bringen. Als An Tiêm und seine Familie nach Hause zurück kamen brachte er seine Früchte mit sich, um sie dem König zu schenken. In Anerkennung der Leistungen An Tiêms entschied der König, zugunsten An Tiêms zurückzutreten. Seither regierte An Tiêm das Land weise bis zum Ende seiner Tage.