Die Altstadt von Hanoi
Als Vietnams Hauptstadt und Zentrum des Tourismus und des Handels im Land, ist Hanoi eine sehr geschäftige und lebendige Stadt. Hunderte von Motorrädern, Geländewagen und Bussen drängeln sich durch die Straßen, während Tausende von Fußgängern von einem Geschäft zum anderen laufen und sich ihren Weg durch die lärmende Menge bahnen. Dies ist ein alltägliches Szenario in Hanoi, das den angenehm chaotischen Charakter des Ortes ausmacht. Von den vielen Sehenswürdigkeiten der Stadt, besitzt die Altstadt wohl - aus touristischer Sicht - die meisten Vorzüge. Mit dem Hoan Kiem See, das als Herz der Stadt gilt, ist das Viertel die Seele Hanois. Aber lassen Sie sich nicht vom Namen des Viertels täuschen - die „Alt“-Stadt sieht keineswegs alt aus. Bestehend aus mehreren Dutzend von engen Gassen, die sich durch das Viertel schlängeln, ist der Ort ein lebendiges Antlitz der Moderne und des aktiven Handels. Der Grund, warum es als „alt“ bezeichnet wird, ist, dass hinter den neuen Strukturen des Stadtteils, die Menschen, die in der Altstadt wohnen, die Traditionen, Aktivitäten und Lebensweise beibehalten haben, die von einem seit über tausend Jahren bestehenden Erbe stammen. Einheimischen und Besuchern gleichermaßen, ist der Ort als die „36 Straßen“ bekannt. Das ist eines der vielen Geheimnisse, die diesen beeindruckenden Teil Hanois umgibt. Faktisch gibt es mehr als 36 Straßen. Tatsächlich ist die Altstadt allerdings ein Labyrinth aus mehr als 70 Straßen, in denen sich von Familien geführt Läden dicht an dicht drängen und Seide, Stofftiere, Kunstwerke, Souvenirs, Stickereien, Essen, Kaffee, Uhren und Seidenkrawatten verkaufen. Wo die Zahl 36 nun herkam, weiß niemand wirklich sicher. Einige Forscher glauben, dass die Zahl aus dem 15. Jahrhundert stammt, als 36 Zünfte hier ihren Standort hatten – Werkstätten, die jeweils eine andere Handelsware feilboten. Dementsprechend wären es keine eigentlichen Straßen gewesen. Als Straßen später gebaut wurden, wurden diese schließlich nach den verschiedenen Zünften benannt. Andere verbinden die 36 mit einem abstrakteren Konzept. In der östlichen Philosophie steht die Nummer neun für das Konzept des Überflusses. Neun multipliziert mit den vier Himmelsrichtungen macht 36, bedeutet „viel“ oder „viele“. Jahrhunderte alter Handel läuft immer noch blühend. Wenn Sie sich Ihren Weg durch das Wirrwarr der Gassen der Altstadt bahnen, werden Sie viel entdecken können: älterer Paare, die sitzen und ihren Tee trinken, Jugendliche, die auf dem Balkon Zigaretten rauchen, streunende Haustiere, Anwohner, die mit dem Nachbarn quatschen, die Unordnung der Fischmärkte, quietschende Schweine und Schmiede, die laut hämmernd das Metall bearbeiten und so ihrem Handwerk nachgehen. Jede Wohnung ist gleichzeitig auch ein Geschäft, das den riesigen Markt der „36 Straßen“ ausmacht. Hier verkaufen Ladenbesitzer alles, was es unter der Sonne gibt, von Kugellagern und Glühbirnen, Keramik und Seide, Kleidung und Schuhe, über lebendige Hühner bis hin zu Schlangenwein, um nur einiges zu nennen. Das Handwerk, das sie zum Verkauf bieten, beruht auf Wissen aus den letzten Jahrhunderten. Die Altstadt ist tatsächlich eine Erinnerung an die geschichtsträchtige Vergangenheit Hanois – die Geschichte des Viertels ist eng verknüpft mit dem Auf und Ab der verschiedenen Eroberer und Händler der letzten tausend Jahre. Es war der Beginn der Ly-Dynastie (1010-1225) als Kaiser Ly Thai To seine Hauptstadt nach Hanoi verlegte. Eine Gemeinschaft aus Handwerkern zog mit dem kaiserlichen Gefolge in die neue Stadt. Handwerker, die Ähnliches herstellten, wurden in Zünfte organisiert, deren Mitglieder meist eng zusammenhielten, um den Unterhalt zu sichern. Die Altstadt begann seinen Ruf als Handwerksviertel zu erhalten, als im 11. Jahrhundert die Vietnamesen Unabhängigkeit erlangten und Kaiser Ly Thai To dort seinen Palast errichtete. Im frühen 13. Jahrhundert begannen sich die Ansammlungen kleiner Werkstätte, die in Dörfern rund um die Mauern der Zitadelle gelegen waren, in Handwerksgenossenschaften zu entwickeln und zu vergrößern. Alle Straßen, die sich nun entwickelten, bekamen den Namen Hang (was Ware oder Laden bedeutet), gefolgt von dem Namen des Handwerks. In jeder Straße wohnte eine Gruppe von Händlern, die Experten auf einem bestimmten Gebiet waren. So wurde sich in der Hang Chieu (Matte) auf Matten und in der Hang Bac (Silber) auf den Handel mit Silber und Schmuck spezialisiert. Von den renommierten Silber- und Grobschmieden stammten viele aus der nordvietnamesischen Provinz Nam Dinh. Sie und andere Handwerker und Künstler begannen, Handel mit Hanoi zu betreiben und sich zusammenzutun, so dass diejenigen, die das Gleiche oder Ähnliches herstellten und verkauften, in der gleichen Straße einen Verkaufsstand aufmachten, aus dem einfachen Grund, dass die meisten von ihnen aus der gleichen Heimatstadt oder Region waren. Da die Bewohner einer Straße aus dem gleichen Dorf kamen, entwickelten die Straßen ein homogenes Aussehen. Bevor Straßen gebaut wurden, entwickelten sich aus Verkaufsständen bürgerliche Häuser. In jeder Straße befindet sich mindestens ein Tempel, aber viele von ihnen wurden mittlerweile in Geschäfte oder Wohnräume umgebaut. Jede "Hang" ist nicht nur eine Straße, sondern eher eine eigenständige Miniatur-Handelsstadt. Während sich die Veränderung ihren Weg in der Altstadt bahnt, wird an manchen Traditionen festgehalten und es gibt noch heute rund 30 Straßen, die immer noch die Namen "Hang" haben, so wie es seit mehr als 50 Jahrhunderten der Fall ist. Einige handeln jedoch nicht mehr mit den Produkten, die ihr Name angibt, wie beispielsweise der Hang Than (Kohle), der jetzt Hochzeitstee und -kuchen verkauft. Im Hang Buom (Segel), Hang Voi (Kalkstein), Hang Be (Floß) wird schon längst kein Handel mehr mit diesen sperrigen Waren, nach denen sie benannt wurden, betrieben. Anwohner änderten bei mehreren Straßen auch die Namen, wenn diese nicht mehr mit dem Handwerk verbunden waren, nach dem vor Jahrhunderten die Straße benannt worden war. Die traditionellen Geschäfte am Hang Son (der Lacke und Farben verkaufte) und Hang Bat Dan (glasierte Terrakottaware), wurden von cha ca (gebratene Fischfrikadellen)-Geschäften und pho (Nudelsuppe mit Rindfleisch)- Ständen ersetzt und Hang Son heißt nun Pho Cha Ca. Hang Chao (Reisbrei) teilt sich nun eine Straße mit hunderten von anderen Läden, die Schrauben und Elektrogeräte verkaufen, während Hang Dieu (Wasserpfeifentabak) sich nun auf Decken, Kissen und Polster spezialisiert hat. Im Hang Mam (gesalzener Fisch) wird kein Mam mehr verkauft. Die Straßen Hang Non (Hut), Hang Luoc (Kamm) und Hang Ca (Fisch) wurden mittlerweile zu einer Meile von Boutiquen umgewandelt, die Luxusgüter verkauft. Hang Gai sind spezialisiert auf den Verkauf von teurer Seide an Ausländer. Dennoch florieren weiterhin viele der traditionellen Straßen und werden trotz der Herausforderungen der fortschreitenden Urbanisierung ihrem Namen gerecht. Viele Einheimische bevorzugen sogar immer noch ihre Einkäufen in Straßen zu machen, die sich kaum verändert haben. Hang Bac (Silber) und Hang Khay (Produkte mit Perlmutt-Intarsien) sind immer noch gefragt, auch mit der Anwesenheit von neueren und moderneren Einkaufsmöglichkeiten. Hang Dao, bleibt der beliebteste Ort der Stadt zum Shoppen von Kleidung für Frauen. Die ersten Ladenbesitzer, die es dort gab, waren geschickte Schneider aus den Dörfern rund um Hanoi. Als damals schließlich die Straße, die durch das Viertel führte, benannt wurde, wurde sie Hang „Dao“ genannt, was „Blume“ oder „schöne Frau“ bedeutet - in Anspielung an helle Kleidung und die Damen, die sie kauften. Bei jedem Mitt-Herbstfest, Hang Ma (glänzende Papierprodukte wie Geschenkverpackungen, Hochzeitsdekorationen und Miniatur-Papierobjekte, die für die Toten verbrennt werden), leuchten die Straßen auf dieselbe Art und Weise auf, wie es seit Jahrhunderten zu beobachten ist. Traditionellerweise kaufen Eltern ihren Kindern an diesem Tag Spielzeug oder Laternen. Blickt man hoch über die ebenerdigen Ladenfronten, so erhält man einen Eindruck der historisch schmalen, engstehenden Architektur. Die langen schmalen und röhrenförmigen Häuser werden von bunten - wenn auch verblassten - Jahrhunderte alten chinesischen Geschäftshäusern, französischen Villen und buddhistischen Pagoden und Tempeln abgewechselt. Die Bewohner Hanois assoziieren den Charakter einer Person basierend darauf in welchem Bereich der Altstadt sie sich niederlassen. Sie glauben, dass Männer aus Hang Bac höflich und elegant sind, während Frauen von Hang Dao für ihren Charme und ihre Schönheit bekannt sind. Solche Eigenschaften sollen eine große Rolle in der Attraktivität der 36 Straßen spielen – über das wunderbare Shopping-Erlebnis und die beeindruckenden spontanen Szenen hinaus. Bei einem Bummel durch die Altstadt Hanois oder die „36 Straßen“ kann man die Schönheit wahrnehmen und schätzen lernen, dass das Erbe und die Tradition Hanois in diesen Gassen so lebendig ist - etwas, das nicht nur von den Behörden sondern auch von den Einheimischen erhalten werden sollte.